Studenten-Proteste: „Friedliche Besetzung des Landtags erlebt“
Augenzeugin Barbara Behrends (SPD) „Besetzung des Abgeordneten-Hauses war nicht vorhersehbar“ - Friedliche Studenten - Uwe Barth (FDP): „Kritik der Studenten berechtigt und legitim“ - Michael Hörter (CDU): „Ziel ist die Abschaffung des demokratischen Gesellschaft-Systems“
Von Andreas Klamm
Berlin / Mainz 18. Juni 2009. Im Rahmen des Bildungs-Streiks 2009 wurde gestern in Mainz bei Demonstrationen das Abgeordnetenhaus des Landtags in Mainz von Schülern, Studenten und weiteren Demonstranten besetzt. Die SPD-Pressesprecherin Barbara Behrends (SPD) wurde Augenzeugin der Ereignisse im Landtag von Rheinland-Pfalz. In einem Telefon-Interview mit dem internationalen Magazin MJB Mission News (ISSN 1999-8414) bestätigte die SPD-Poltikerin: „Ich habe ein friedliche Besetzung des Abgeordneten-Hauses im Landtag von Rheinland-Pfalz erlebt.“
Mit der Besetzung und Sachbeschädigungen im Mainzer Landtag am 17. Juni 2009 wird sich, nach Informationen des CDU-Politikers Michael Hörter, auch der Innenausschuss des rheinland-pfälzischen Parlamentes befassen.
Nach Angaben der Veranstalter befinden sich in dieser Woche (15. bis 19. Juni 2009) bis zu 270.000 Studenten und Schüler in ganz Deutschland im Bildungs-Streik.
„Wir boten den Studenten und Schülerinnen Gespräche. Ich erlebte friedliche Proteste der Studenten.“ bestätigte die SPD-Politikerin und SPD-Pressesprecherin Barbara Behrends in einem Telefon-Interview mit MJB Mission News (ISSN 1999-8414). Foto: SPD
Der Bildungsstreik erlebte mit der befristeten Besetzung des Abgeordneten-Hauses des Landtags von Rheinland-Pfalz in der Stadt Mainz einen Höhepunkt. Die Besetzung des Abgeordneten-Hauses durch Schüler und Studenten, die für eine bessere und gerechtere Bildungs-Politik in ganz Deutschland noch bis 19. Juni 2009 demonstrieren wurde von Politikern unterschiedlicher Parteien sehr unterschiedlich wahrgenommen.
Barbara Behrends, Presse-Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz befand sich zum Zeitpunkt der Besetzung des Abgeordnetenhauses im Landtag im Innern des Abgeordnetenhauses und wurde Augenzeugin der Besetzung durch Schüler und Studenten.
„Etwa 400 bis 500 Menschen verschafften sich mit leichten Druck Zugang zum Abgeordnetenhaus.“, schildert die Politikerin im Telefon-Interview ihre Wahrnehmungen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nur sehr wenige Abgeordnete im Landtag.
Aus dieser Perspektive betrachtet, erlebte der Landtag von Rheinland-Pfalz vermutlich die größte aktive Zuhörerschaft von Menschen in einem Landtag, die es noch nicht einmal zu den besten Hoch- und Glanz-Zeiten im Landtag von Rheinland-Pfalz bisher gab.
Barbara Behrends: „Wir haben den Menschen Gespräche angeboten. Die Polizei war sehr zurückhaltend und de-eskalierend. Ein Sprecher mit Megaphon verkündete die Botschaften und politischen Forderungen zum Bildungsstreik 2009 sowie die Sorgen, Ängste, Nöte und Bedürfnisse der Schüler und Studenten. Ich fühlte mich nicht bedroht. Es war ein friedlicher Protest von Schülern und Studenten. Sie können sich vorstellen, die räumlichen Verhältnisse waren bei der Anwesenheit von 400 bis 500 Personen sehr beengt. Die Studenten und Schülerinnen hielten das Abgeordnetenhaus des Landtags von Rheinland-Pfalz für rund 30 Minuten besetzt. Danach zogen die Schüler und Studenten wieder friedlich ab.“
Der hochschul-politsche Sprecher der FDP-Bundestags-Fraktion, Uwe Barth kritisierte die Übergriffe der Gewalt: „Die FDP hatte das grundsätzliche Bestreben des Bildungs-Streiks, eine Verbesserung der Rahmen--Bedingungen an Schulen und Hochschulen herbeizuführen, begrüßt. Viele der Kritik-Punkte geraten aber durch Gewalt in Misskredit. Niemand kann erwarten, dass er als ernsthafter Gesprächs-Partner in Betracht kommt, wenn er zu Mitteln wie Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung greift. Kritik am Bildungs- oder Hochschulsystem ist berechtigt und legitim. Schüler und Studierende erreichen ihr Ziel aber nicht, wenn der Bildungsstreik durch anarchistische Gewalt missbraucht wird.“
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Michael Hörter, übte scharfe Kritik an der Einsatzplanung des Innenministeriums für den angemeldeten „Bildungsstreik 2009 . Auf die Besetzung des Mainzer Abgeordnetenhauses hätte das Ministerium vorbereitet sein müssen. Auf der offiziellen Internetseite wurden solche illegalen Aktionsformen angekündigt. Das Ziel einiger Veranstalter der Demonstration sei die Abschaffung des demokratischen Gesellschaftssystems. Das war auch dem Innenministerium bekannt. Die CDU-Fraktion wird das Thema im Innenausschuss zur Sprache bringen.“
Friedlicher Protest von Schülern und Studenten beim Bildungsstreik in Mainz. Foto: Stefan Benz
Man habe die Demonstration nicht ausschließlich zur Kritik an der Bildungs-Politik genutzt. Links-Autonome hätten den Bildungsstreik 2009 „unterwandert“.
Hinter den den Initiatoren des Studenten- und Schüler-Protests stünden unter anderem linksradikale Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ergänzte der CDU-Politiker.
Dazu gehören beispielsweise die Sozialistische Alternative, Antifaschistische Gruppen auch aus Rheinland-Pfalz, das Internetportal Indymedia wie auch die Rote Hilfe. Diese nutzten die Schüler und Studenten zur Stimmungsmache für ihre, so wörtlich „substanzlose Fundamental-Kritik an Staat und Gesellschaft.“
Als „Höhepunkt“ bezeichnete Michael Hörter das Eindringen ins Abgeordnetenhaus des Mainzer Landtages.
Dieses Szenario habe die Einsatz-Planung wohl nicht berücksichtigt. Die vorgehaltene Zahl der Einsatzkräfte sei zu gering geplant gewesen. Sachbeschädigungen an einer Ausstellung der CDU-Landtagsfraktion zum Thema „20 Jahre friedliche Revolution“ über die Zeit der Wende konnten nicht verhindert werden.
Ausstellungsgegenstände seien entwendet sowie mehrere Bilder durch Schmierereien beschädigt worden.
„Das Eindringen der Demonstranten in ein öffentliches Gebäude ist ein klarer Rechtsbruch, da die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet wurde. Dieses Vorgehen ist bedauerlich, denn viele Forderungen der Schüler und Studenten berechtigt sind.“, erklärte Michael Hörter (CDU).
Die SPD-Sprecherin Barbara Behrends wies die scharfe Kritik des CDU-Politikers am Innenminister von Rheinland-Pfalz und der Einsatzleitung zurück: „Die Erstürmung und Besetzung des Abgeordnetenhauses des Landtags von Rheinland-Pfalz sei für die Einsatz-Planung nicht vorher sehbar gewesen. Die etwa 20 Polizisten und Polizistinnen seien nicht in der Lage gewesen permanent rund 400 bis 500 Menschen zu überwachen.“
„Im Abgeordnetenhaus selbst ist etwas Papier hinterlassen worden. Ich erlebte einen friedlichen Protest. Es war nicht bedrohlich. Einige Wände im Landtag sind möglicherweise mit Ölmal-Stiften bemalt worden, Möglicherweise seien in Anbetracht der beengten räumlichen Verhältnisse einige Gegenstände bei einer Ausstellung der CDU-Fraktion auf den Boden gefallen. Soweit ich erfahren konnte, ist nach dem Besuch der Demonstranten eine Schreibmaschine oder Reise-Schreibmaschine, die auf der CDU-Austellung ausgestellt war, verschwunden. Ob die Demonstranten planen die Schreibmaschine zurückzugeben ist mir nicht bekannt. Die Demonstranten hatten lediglich die Tür zum Abgordnetenhaus mit sanften Druck aufgedrückt.“, ergänzte die SPD-Pressesprecherin und Augenzeugin der Eregnisse Barbara Behrends.
Das regionale Aktions-Bündnis zum Bildungs-Streik 2009 in Mainz erklärte auf Anfrage zu den Vorwürfen einer möglichen „Unterwanderung“ durch links-autonome und links-radikale Gruppen: "Das Bildungsstreik-Bündnis hat eine dezentrale Struktur und besteht aus über 100 lokalen Bündnissen. Diese lokalen Bündnisse entscheiden allein, wer und welche Gruppen bei ihnen mitarbeiten. Von Partei-nahen Gruppen über Bündnisse von Schülerinnen und Schülern sowie Gewerkschaften bis zu Gruppen aus dem links-autonomen Strukturen – Menschen aus all diesen Organisationen vereint der Wunsch, das Bildungs-System zu verbessern. Deshalb arbeiten sie zusammen und gerade wegen dieser Diversität der Einstellungen erlangt hierbei keine Gruppe eine überragende Autorität – weder Studierende gegenüber Schüler und Schülerinnen noch autonome Linke gegenüber Fachschaften von Studenten.“
In einer Pressemitteilung teilte das lokale Bildungsstreik-Bündnis mit: „Das Bündnis Bildungsstreik Mainz ist entrüstet über die Vorwürfe von Randale und Gewalt während der gestrigen Demonstration. Schon im Vorfelde wurde von konservativen politischen Gruppierungen versucht, den Bildungsstreik zu diffamieren und zu kriminalisieren, um so von inhaltlichen Forderungen abzulenken. Das Ausbleiben einer legitimen und problembezogenen Debatte bedauern wir sehr.
Indem die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen die Verlesung der bundesweiten Forderungen im Abgeordnetenhaus des Landtags als Ausschreitung bezeichnet, diskreditiert sie vielmehr sich und die aktuelle Bildungspolitik.“
Sonja Prünzel vom Bündnis Bildungsstreik Mainz betont: „Die rege Beteiligung an den Protesten in Mainz zeigt, dass auch in Rheinland-Pfalz akuter Handlungsbedarf im Bildungssystem besteht.
Nach einer Zwischenkundgebung zogen etwa 1000 Demonstrierende zum Abgeordnetenhaus des Landtags und verliehen ihrer kreativen Protest-Form laut und zugleich besonnen in Hof und Foyer Ausdruck. Ohne offizielle polizeiliche Aufforderung wurde das Gebäude und der Hof auf eigene Initiative nach rund einer halben Stunde verlassen. Erfreulich finden wir, dass sich wenigstens einige Abgeordnete einem Gespräch stellten.“
Der Hochschul-politische Sprecher der FDP Uwe Barth sagte: „Ich habe Verständnis, dass junge Menschen für bessere Bildung eintreten, auch wenn ich zahlreiche Forderungen des Bildungsstreiks nicht unterstütze. Ich erwarte im Gegenzug aber auch von den Organisatoren, sich sehr kritisch mit der Durchführung der Aktionswoche auseinander zusetzen. Die Liste der unterstützenden Organisationen ist nämlich lang und zum Teil erschreckend. Ich bin mir sicher, dass zahlreiche Ausschreitungen von gewaltbereiten Organisationen gewollt waren. Damit läuft das eigentliche Ziel der Aktionswoche völlig ins Leere. Die Organisatoren müssen sich dies vorhalten lassen. Die pauschale Kritik an der Aktions-Woche durch Bundesbildungs-Ministerin Annette Schavan ist allerdings wenig hilfreich. “
Der Hochschul-politische Sprecher der SPD Landtags-Fraktion, Dr. Matthias Krell erklärte: „Im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks haben Studierende gegen Studien-Gebühren demonstriert. Diese Zielsetzung unterstützen wir. Die Garantie eines gebührenfreien Erst-Studiums ist eine grundsätzliche Zielsetzung der rheinland-pfälzischen SPD“.
Zum Bildungsstreik in Rheinland-Pfalz erklärte Daniel Köbler, Landesvorstandssprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz: „Rheinland-Pfalz befindet sich in einer Bildungskrise. Das Land wird seiner bildungspolitischen Verantwortung nicht gerecht und lässt das Bildungssystem sehenden Auges an die Wand fahren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen angesichts der miserablen Studienbedingungen den Bildungsstreik an Schulen und Hochschulen im Land.
Die Umsetzung der Bachelor- Master-Studiengänge ist eine Katatstrophe. Diese Reform ist ein Parade-Beispiel, dass bloße Struktur-Reformen zum Scheitern verurteilt sind. Die Studien-Bedingungen haben sich durch die Verschulung der Studiengänge und die hohe Arbeitsbelastung der Studierenden viel mehr verschlechtert.“
Die Schüler und Studenten beklagen: „Die derzeitigen Zustände und Entwicklungen im Bildungssystem sind nicht weiter hinnehmbar! Weltweit sind Umstrukturierungen aller Lebensbereiche nicht mehr Gemeinwohl-orientiert, sondern den so genannten Gesetzen des Marktes unterworfen. Seit ein paar Jahren ist auch das Bildungs-System in den Fokus solcher “Reformen” geraten: Bildungs-Gebühren und die Privatisierung treffen uns alle!
Die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt deutlich, dass die Auswirkungen wettbewerbsorientierter Entscheidungs-Kriterien verheerend sind. In vielen Ländern protestieren Menschen dagegen, so beispielsweise. in Mexiko, Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland. In diesem internationalen Zusammenhang steht der Bildungsstreik 2009.“
Der anhaltende Protest gegen Studien-Gebühren und Sozial-Abbau in den letzten Jahren habe bei den Verantwortlichen in Medien, Wirtschaft und Politik zu wenig Wirkung gezeigt. Deswegen riefen die Studenten in Deutschland dazu auf, demokratischen Rechte in Form eines bundesweiten Bildungs-Streiks wahrzunehmen.
Im Bildungs-Streik werden pluralistische Aktionsformen, gemeint sind Demonstrationen, Blockaden, Besetzungen stattfinden. Während einer bundesweiten Aktionswoche vom 15. Juni bis 19. Juni 2009 werden die Schülerinnen und Schülern im gesamten Bundesgebiet demonstrieren.
Die Schüler und Studenten suchen das Bündnis mit vielen gesellschaftlichen Gruppen, wie Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, die ausdrücklich eingeladen sind, im Bildungs-Streik zu protestieren, denn man sei überall mit der gleichen Politik konfrontiert: An der Hochschule, in den Schulen und im Betrieb.
Ziel des Bildungsstreiks ist es, eine Diskussion zur Zukunft des Bildungs-Systems anzuregen. Des weiteren sollen Möglichkeiten einer fortschrittlichen und emanzipatorischen Bildungs- und Gesellschaft-Politk aufgezeigt und durchgesetzt werden. Dem Einfluss der maßgeblichen politischen und ökonomischen Interessen im Bildungsbereich wollen die Schüler und Studenten Alternativen entgegen setzen.
Die Schüler und Studenten setzen sich unter anderem für folgende Ziele ein: Selbstbestimmtes Lernen und Leben statt starrem Zeitrahmen, Leistungsdruck und Konkurrenzdruck.
Einen freier Bildungszugang und Abschaffung von sämtlichen Bildungs-Gebühren wie Studien-Gebühren, Ausbildungs-Gebühren und Kita-Gebühren, die öffentliche Finanzierung des Bildungssystems ohne Einflussnahme der Wirtschaft unter anderem auf Lehrinhalte, Studien-Strukturen und Stellenvergabe und Demokratisierung und Stärkung der Mit- und Selbstverwaltung in allen Bildungseinrichtungen.
Weitere und ausführliche Informationen zum bundesweiten Bildungs-Streik der Schüler und Studenten in Deutschland sind bei www.bildungsstreik.net zu finden. Informationen zum lokalen Bildungsstreik Bündnis in Mainz sind bei http://bildungsstreikmainz.blogsport.de zu finden.
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