Berlin. 19. Februar 2017. (mediap). Der FDP-Bundesgeschäftsführer Dr. Marco Buschmann schrieb für „Tagesspiegel Causa" (16. Februar 2017) den folgenden Gastbeitrag:
„Verrückt" müsse Donald Trump sein, meint nicht nur der Regisseur James Foley. Der Spiegel vergleicht den US-Präsidenten auf einem Titel-Cover mit Jihadi John, einem sadistischen IS-Schlächter. Der Psychotherapeut John D. Gartner stellt gar eine Ferndiagnose und meint, Trump leide unter einem „bösartigem Narzissmus". Kann es sein, dass wir es bei dem mächtigsten Mann der Welt mit einem Wahnsinnigen zu tun haben? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn sein Verhalten, das mal pubertär, mal verstörend wirkt, könnte auch schlicht einer unter US-Präsidenten immer wieder erprobten Verhandlungstaktik entsprechen.
Im Oktober 1962 stand die Welt am Rande des Abgrunds. Der Staatschef der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, wollte Atomwaffen auf Kuba stationieren. Die USA unter Führung des frisch gewählten Präsidenten John F. Kennedy waren nun vor die Wahl gestellt, eine akute atomare Bedrohung 90 km vor ihrer Küste zu akzeptieren oder dies mit militärischen Mitteln zu verhindern. Jedermann war klar, dass ein militärischer Konflikt zwischen den beiden Super-Mächten in einen Dritten Weltkrieg münden konnte. Genau darauf setzte Kennedy. Er spielte mit einem „Abgrund", in den beide Gegner hätten stürzen können. Chruschtschow wurde es zu gefährlich. Er gab nach. Spieltheoretiker sprechen hier von Brinkmanship – dem Herbeiführen eines Risikos, das dem Gegner so unerträglich erscheint, dass er seine Position räumt.
Der kritische Erfolgsfaktor beim Brinkmanship ist die Glaubwürdigkeit der drohenden Gefahr – also die Bereitschaft des Gegenspielers, auch selbst in den Abgrund zu stürzen. Chruschtschow glaubte offenbar, der junge US-Präsident sei so unbesonnen, dass er es auf einen Krieg ankommen lasse.
Einige Jahre später erschien eine ähnliche Drohung des US-Präsidenten Richard Nixon offenbar nicht so glaubwürdig. Er wollte den Krieg zwischen Nord- und Südvietnam unbedingt beenden. Dazu behauptete er, notfalls Atomwaffen gegen Nordvietnam einzusetzen. Die kommunistische Führung glaubte das nicht. Sie ging offenbar davon aus, dass kein vernünftiger Mensch im Amt des US-Präsidenten bereit wäre, wegen eines Konflikts in einem kleinen asiatischen Land am anderen Ende der Welt, einen atomaren Konflikt zu riskieren.
Nixon wählte daher eine besondere Version des Brinkmanship: die Mad Man-Variante. Nehmen wir an, der Gegner verlässt sich darauf, dass er es mit jemand Vernünftigem zu tun hat. Ein vernünftiger Gegner wird für sich selbst aber keine unkalkulierbaren Risiken eingehen. Daher glaubt man ihm auch nicht, wenn er behauptet, die ganze Welt und mit ihr sich selbst in den Abgrund zu stürzen. Beim Brinkmanship ist Vernunft mitunter kein Vorteil, sondern ein taktischer Nachteil.
Auf dieses Problem gibt es nur eine logische Antwort: einen Wahnsinnigen! Nixon platzierte daher die wildesten Gerüchte: Er sei getrieben von blindem Hass gegen den Kommunismus. Einige verbreiteten sogar in seinem Auftrag „fake news": Nixon sei verrückt geworden. Wie die Geschichte zeigt, reichte auch das offenbar nicht aus, um Nordvietnam zu überzeugen. Nixon hat die Mad Man-Variante nicht überzeugend gespielt.
Donald Trump scheint man seinen Wahnsinn jedoch abzunehmen. Ginge man davon aus, er handelte strategisch, könnte man in ihm den Meister des Brinkmanships in der Mad Man-Variante erkennen. Ob man ihn so in Zukunft bezeichnen wird, wird maßgeblich von seinen künftigen Verhandlungserfolgen abhängen. Die können sich auf ganz unterschiedlichen Feldern erweisen, an denen sich seine Vorgänger die Zähne ausgebissen haben.
Über Jahre setzte sich die Regierung Obama für internationale Exportquoten ein. US-Finanzminister Timothy Geithner startete 2010 dazu eine Initiative und prügelte verbal geradezu auf China, Deutschland und Japan ein. Doch seine Vorschläge wurden beim G20-Gipfel in Südkorea abgelehnt. Am Ende fehlte es ihm an einem glaubwürdigen Druckmittel. Denn niemand nahm an, dass ein vernünftiger Mann wie Geithner notfalls zu Protektionismus und Schutzzöllen greifen würde, um seine Forderungen durchzusetzen. Jeder wusste: Damit schadet er nicht nur seinen Verhandlungsgegnern, sondern auch den USA selbst. Man kam ihm also nicht entgegen. Aber hätte man ebenso einen Wahnsinnigen ignoriert, dem man zugetraut hätte, die Wohlstandsmaschine Welthandel in Schutt und Asche zu legen? Trump probiert es womöglich gerade aus, wenn er das Thema Exportdeckelung in die USA wieder aufgreift und mit Zöllen und Protektionismus droht.
Seit vielen Jahren mahnen die USA ihre NATO-Verbündeten an, angemessene Beiträge zum gemeinsamen System militärischer Sicherheit zu leisten. Während die USA fast vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Militärausgaben aufwenden, sind es bei den anderen NATO-Staaten im Durchschnitt nur 1,4 Prozent – trotz der Verpflichtung zwei Prozent zu investieren. Im Jahr 2011 warnte der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates bei einer Rede in Brüssel, dass die Geduld des US-Kongresses bald überspannt sein könnte, weiterhin so viel amerikanisches Steuerzahlergeld für die Sicherheit europäischer Verbündeter auszugeben. Auch diese Drohung fruchtete nicht, weil die Europäer um die starken sicherheitspolitischen Interessen der USA in Europa wussten. Doch hätte man die Drohung eines Verrückten ignoriert, dem man zugetraut hätte, die USA zurück in den Isolationismus zu führen? Trump probiert es womöglich gerade aus, wenn er das Ausgabeverhalten der NATO-Partner kritisiert und das Bündnis in Frage stellt.
Wie geht man mit diesem Befund um? Falsch wäre es, auf Wahnsinn mit Wahnsinn zu antworten. Denn sonst wiederholt sich die Eskalationsspirale der Juli-Krise von 1914. Wer Nationalismus mit Nationalismus, Säbelrasseln mit Säbelrasseln und „begrenzte Offensiven" mit ebensolchen „begrenzten Offensiven" beantwortet, landet mit Gewissheit in dem Abgrund, der für alle Beteiligten die schlechteste Lösung wäre. Es hilft nur die nüchterne Definition der eigenen Interessen und das beharrliche Einstehen dafür, ohne sich von Kriegsbemalung und -geschrei ins Bockshorn jagen zu lassen. Keep calm and negotiate!
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